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Warum ich eifersüchtig war auf alle, die sich mit einem heissen Kakao auf die Terrasse setzen

Das ultimative Bild von Coziness ist für mich, in eine Decke gekuschelt und mit einem heissen Kakao in der Hand bei einem guten Buch auf der Terrasse zu sitzen. Nur kam das bei mir selten bis gar nie vor. Das machte mich eifersüchtig auf alle, die den Rotwein nicht brauchen.



Okay, ich würde meinen heissen Kakao nie direkt auf ein Buch stellen. Aber darum geht es hier nicht.

Was ich liebe, seit ich keinen Alkohol mehr trinke: den Tag. Und zwar jeden einzelnen Tag, auch wenns kitschig klingt. Aber da quasi all meine Lebensbereiche tatsächlich kitschig schön geworden sind, seit ich keinen Alkohol mehr trinke, ist auch jeder Tag kitschig schön geworden.


Den schönsten Teil des kitschig schönen Tages finde ich den Abend. Natürlich ist auch der Morgen schön, denn ich wache jeden Morgen frisch und ausgeschlafen und ohne Alkoholmundgeruch auf, aber während ich schon früher viele Morgen gut aufwachte, merke ich bei den Abenden eine viel markantere Verbesserung hin zum Kitschig-Schönen.


Früher (früher steht in meinen Texten synonym für die Zeit, in der ich noch Alkohol trank), sahen meine Abende so aus:

  • Ich trank entweder Alkohol – viele Gläser oder nur wenige Gläser – und fühlte mich anschliessend mehr oder weniger nicht mehr dazu im Stande, mich auf einen Film geschweige denn auf ein Buch zu konzentrieren. Lust auf einen heissen Kakao hatte ich auch keinen, warum ich meist einfach ins Bett ging.

  • Oder ich trank keinen Alkohol, was immerhin an mindestens drei bis vier Abenden in der Woche vorkam. Dann aber fühlte ich eine innere Unruhe in mir, die mir suggerierte, dass irgendwas fehlen würde. Ich spürte Verzicht. Oft auch Verlangen. Ich fühlte mich nicht vollständig – was keine gute Voraussetzung ist für einen wirklich gemütlichen Abend mit einem heissen Kakao vor einem guten Buch.

Nicht, dass ich alle Abende ohne Alkohol blöd fand. Eigentlich fand ich die meisten sogar ziemlich gut, denn mein Verzicht-Gefühl zog ich meinem schweren Wein-Kopf und der Müdigkeit vom Schwips und dem schlechten Gewissen, wieder mehr getrunken zu haben als ich mir vorgenommen hatte, in den meisten Fällen vor. Ich fühlte mich an den Abenden ohne Alkohol also besser als an jenen mit, und doch fühlte ich mich eben nicht wirklich gut an den Abenden ohne.


(Wenn du deinen Alkoholkonsum auch zu regeln versuchst oder versucht hast, dann kennst du diese Gefühle bestimmt.)


Doch als ich noch trank, da wusste ich nicht wirklich, dass ich mich an den allermeisten Abenden nicht richtig und wirklich gut fühlte oder zumindest konnte ich mir nicht vorstellen, dass man sich irgendwie besser fühlen kann, als ich es die meiste Zeit tat. Schliesslich hatte und tat ich doch alles, was zu einem guten Leben gehörte: Ich habe einen tollen Mann an meiner Seite, einen Job, den ich gerne mache, habe beste Freundinnen, ich bewege mich regelmässig, ernähre mich gesund und räume mit meiner Vergangenheit auf. Was will man mehr?


Heute, alkoholfrei, weiss ich, was man mehr will: Man will am Abend mit einem heissen Kakao vor einem guten Buch sitzen und nichts mehr brauchen als das, was man gerade hat. Kein Verlangen will gestillt werden, keine innere Unruhe lässt einen nicht mehr als zwei Sätze hintereinander lesen und keine latente Zukunftsangst oder Hoffnungslosigkeit stört die Idylle, die so idyllisch gar nicht zu sein braucht, um als solche gedeutet zu werden.


Heute wünsche ich mir etwas zu tun, tue es, und es fühlt sich so an, wie ich mir das vorgestellt habe.


Klingt einfach, ist es auch. Aber es ist nicht simpel, dorthin zu kommen, zumindest nicht, wenn man (noch) Alkohol trinkt. Zwischen der Unzufriedenheit, die man spürt, wenn man trinkt und der Zufriedenheit, die man spürt, wenn man nicht mehr trinkt, liegt das Aufhören.


Ich kann es nur immer wiederholen: Zuerst das Aufhören, dann die Verbesserung.


Die Verbesserung ist folgende: Idylle bedeutet für mich heute nicht mehr, dass alle Umstände perfekt zu sein brauchen, denn das waren und sind sie sowieso nur ganz selten. Idylle bedeutet für mich, dass ich so frei bin, mir diese Idylle zu kreieren. Kein schwerer Wein-Kopf, keine innere Unruhe und kein Verlangen kann mich davon abhalten, das zu tun, was ich tun möchte. Abende, an denen ich mit einem heissen Kakao auf der Terrasse sitze und ein Buch lese sind für mich zum Symbolbild dieser selbst kreierten Idylle geworden.


Ich wusste über die Macht dieses Symbolbilds schon früher Bescheid. Denn wann immer ich auf Pinterest oder Instagram oder sonst einem bildstarken Medium ein Foto wie jenes oben sah, war es um mich geschehen: Ich wollte das auch, und ich wollte es idyllisch und kitschig-schön.


Ich war eifersüchtig auf alle, die das hatten und die sich gut und friedlich fühlten dabei. Ich wusste, dass es unerreichbar für mich sein würde, ohne genau zu wissen, warum dem so war. Denn schliesslich hatte ich ja jederzeit die Möglichkeit dazu, dieses Setting zu kreieren, und ich tat es ja manchmal auch, nur eben wenig erfolgreich, weil ich mich nie so fühlte, wie ich mir das gewünscht hatte.


Warum ich so auf diesem Bild der kakaotrinkenden und lesenden Maria rumreite ist, weil es zeigt, dass ein regelmässiger Alkoholkonsum viele Dinge verunmöglicht, von denen ich nicht weiss, dass sie durch meinen regelmässigen Alkoholkonsum verunmöglicht werden. Ich konnte nicht friedlich Kakao trinken und ein Buch lesen, als ich noch Alkohol trank, auch an jenen Tagen nicht, an denen ich keinen Alkohol trank.


Kitschig-schöne Idylle ist eine Frage der Einstellung, und die Einstellung ist eine Frage der psychischen und mentalen Gesundheit, und die psychische und mentale Gesundheit ist (wie in meinem Fall) eine Frage des regelmässigen Alkoholkonsums – oder eben der Alkoholfreiheit. Ich musste erst aufhören zu trinken, um feststellen zu können, dass Kakao trinken und lesen und mich zufrieden und glücklich dabei fühlen möglich ist, weil ich nicht mehr trinke.


Darum schreibe ich diesen Text: Weil ich erst aufhören musste, bevor ich wusste, was mich hinderte. Falls du Alkohol trinkst, kannst du eventuell nicht wissen, dass der Alkohol etwas tut in dir, das dich hindert.


Falls du gerne etwas super gerne tun möchtest, du aber nicht recht weisst, warum du es so selten oder nie hinbekommst, dann lasse mal den Alkohol weg und schaue, was passiert. Das kann für viele deiner wünschenswerten Dinge funktionieren:


  • Harmonie in deiner Beziehung, obwohl du ihn/sie doch eigentlich liebst

  • Zufriedenheit im Job, obwohl du ihn doch eigentlich magst

  • Sport treiben, obwohl du eigentlich willst

  • Meditieren, obwohl du eigentlich weisst, dass du es brauchst

  • Auf einer Decke im Gras liegen und in die Baumkrone starren, obwohl du das eigentlich mit ultimativer Entspanntheit gleichsetzt (okay, das ist jetzt wieder einer meiner Symbolbilder)

Ich wünsche mir so sehr, dass auch du deine Symbolbilder verwirklichen kannst. Hast du Fragen? Dann freue ich mich über deine Nachricht auf hallo@fraubrehmertrinktnichtmehr.com.







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